Die Geschichte von Yanthalbor begann bereits in den 80er Jahren in einem kleinen Vorort von Darmstadt. Dort trafen sich zu diesem Zeitpunkt regelmässig zwei junge Männer, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Der eine war meine Wenigkeit: Musiker, Jungredakteur bei einer Filmzeitschrift der ein wenig von Allem wusste. Dann Christian, jüngst graduierter Kernphysiker, Nerd, Gründer einer Computerfirma, der alles von Allem wusste. Was uns verband, war die Ambition hinsichtlich Schreiben. Irgendwann setzten wir uns einfach vor seinen Rechner und legten los. Styx – der Proktor entstand, eine Fantasy/SciFi Novelle, die ich später unter dem Titel „Rebellion 23“ veröffentlichte. Diesen Kurzroman schrieben wir Zeile für Zeile gemeinsam, d.h. einer von uns schrieb jeweils abwechselnd, aber jeder Satz, jeder Absatz wurde zuvor zusammen fabuliert. Damals entstanden das Reich von Zorbejt, die Stadt Montalbaan und das wüstenartige Szenario. Styx aka Rebellion 23 spielte jedoch in einer Zivilisation, die dem 19. Jahrhundert glich. Technisch allerdings ein wenig drüber, womit wir einen frühen Steampunk Roman kreierten; ohne es zu wissen, denn der Begriff „Steampunk“ war damals noch nicht geboren.
Der grosse Weltentwurf kam einige Jahre später. Wir waren inzwischen beide Mitglieder der ehrenwerten Frankfurter Autorengruppe, der so illustre Gestalten wie Peter Peters, Jakobus Mulder und Sylvia Englert alias Katia Brandis angehörten. Christian und ich beschlossen, die Welt von Zorbejt, allgemein nur „Das Reich“ genannt zu übernehmen und quasi die Frühgeschichte zu erzählen. Unsere Geschichte spielte also in der Antike dieser Welt und sie sollte „Queste“ heißen. Das Besondere daran: einer der beiden Helden kam aus unserer modernen Welt, meine Figur Jan Talborg. Der andere war ein Kind seiner Zeit, Hannon aus Montalbaan.
Wir schrieben die Kapitel abwechselnd, soweit ich mich erinnere, hatte ich alle ungeraden Kapitel, Christian alle geraden. Damit hatte ich die Ehre, zu beginnen. Und von Anfang an lief alles gewaltig schief. Mein Yanthalbor war ein wenig wie ich: frech, überheblich, von sich selbst eingenommen. Christians Figur Hannon war: überheblich, arrogant, dünkelhaft. Mein Held war ein Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts, den es auf seltsame Weise in eine antike, eher archaische Zivilisation verschlagen hatte; natürlich blickte er voller Verachtung auf die ungebildeten, unwissenden Eingeborenen herab, und hielt sich ganz entschieden für etwas Besseres. Christians Hannon stammte aus der Oberschicht dieser Stadt, war dementsprechend blasiert und blickte ebenfalls auf seine Zeitgenossen herab, die ja vom Stand her alle unter ihm waren. Humorvoll waren alle beide; Yanthalbor beschrieb er daher folgerichtig als spinnerten Deppen. Was mir missfiel. Also wischte ich Christian in meinen Kapiteln dann wieder eins aus, indem ich Hannon blödsinnige Dinge tun ließ, was dann wieder Christians Rachsucht herausforderte usw. Das ging 600 Seiten lang so. Es kam, wie es kommen musste. Wir erkannten beide, dass zwar die Ideen, die allen Kapiteln zugrunde lagen, gut waren, dass aber die Art und Weise der Schilderungen alles andere als harmonisch wirkte. Dazu kam eben unsere amüsante und joviale Rivalität, die es unmöglich machte, gemeinsam ein schlüssiges Werk abzuliefern. Wir beschlossen, uns zu trennen und jeder sollte seine Version der Geschichte schreiben: ich würde die Reise Yanthalbors schildern, von seinem Eintritt in die Welt im hohen Norden bis Montalbaan. Christian würde dann ab Montalbaan übernehmen und die Reise Hannons beschreiben, die wieder zu diesem Ursprung zurück führte.
Zu diesem Zeitpunkt meiner Biographie ergab sich dann der Wechsel nach Konstanz am Bodensee – das hatte mit meiner damaligen Lebensgefährtin zu tun, die einen Studienplatz an der dortigen Universität ergattert hatte. Da ich mich als unabhängigen Schriftsteller sah, folgte ich ihr. Was keine gute Idee war. Ich schlug mich mehr schlecht als recht mit Jobs beim Südkurier als Filmkritiker, beim Radio Konstanz als Moderator und der Kulturzeitschrift Accent als Redakteur durch (und es kamen noch einige unangenehme kleinere Jobs dazu, um uns über Wasser zu halten). Ich arbeitete sogar als Model für einen Fotografen, der eine Plakatserie für die Konstanzer Stadtwerke entwarf und dafür einen nerdig aussehenden Jungmanager brauchte, den ich recht gut darzustellen imstande war.
In dieser Zeit schrieb ich ununterbrochen Erzählungen und Kurzgeschichten, viele davon fanden später Eingang in meinen Sammelband „Bis ans Ende aller Welten“. Eine davon „Die Wanne“ wurde in dem renommierten literarischen Magazin „Wandler“ gedruckt, was meinen Ambitionen Auftrieb verlieh. Wir zogen dann von unserer recht idyllischen Wohnung am Gnadensee direkt nach Konstanz um, in eine hässliche moderne Wohnsiedlung, die nicht mehr idyllisch war. In dieser Zeit verliebte sich meine damalige Lebensgefährtin in einen Anderen und wir waren praktisch getrennt. Da sie nun nicht mehr in dieser schrecklichen Wohnung lebte, hatte ich noch mehr Zeit für mich. Und ich arbeitete nun unter Hochdruck an Yanthalbor. Nächtelang skizzierte ich die Welt, trieb seinen Weg voran und entwickelte Nebenfiguren. Yiriza tauchte allerdings sehr viel später auf, und einen Medelin gab es noch nicht. Christian besuchte mich dann in Konstanz, las mein gesamtes Machwerk und wir kamen beide zu dem Schluss, dass unsere Erzählungen nicht wirklich kompatibel waren. Ich hatte auch wenig Lust, mich an seine Gegebenheiten zu halten und umgekehrt. Also trennten wir uns dahingehend endgültig. Yanthalbor war mein Werk, Hannon (den er inzwischen in Xannon umbenannt hatte) war seins. Sie teilten sich lediglich eine ähnlich geartete Welt. Allerdings krankten beide an einer Sache: mein Yanthalbor hatte keinen vernünftigen Abschluss, da er ja nur die eine Hälfte der Geschichte erzählte, und sein Hannon musste mit Yanthalbor zurechtkommen, was Christian einschränkte. Daher wurde aus beiden nichts.
Ich zog dann irgendwann weg von Konstanz, zunächst nach Berlin, später wieder Frankfurt. Was ich zurückließ war ein Plakat der Konstanzer Stadtwerke, in welchem ich nun von jeder Litfasssäule, jeder Bushaltestelle und vielen Plakatwänden auf meine untreue Freundin herabgrinste. Späte Rache eines Models.
Jahre vergingen. Jahre, in denen Christian und ich erwachsen wurden, unsere jugendlichen Kabbeleien begruben und doch noch einen vernünftigen Roman zusammen schrieben: Downtown. Vorher schrieb ich einen Kriminalroman namens „Shabu“, der von einem Verlag angenommen wurde. Damit hatte ich meinen Ritterschlag erhalten. Der Folgeroman Downtown wurde vom Emons Verlag publiziert. Wir verblieben noch Jahre in der Frankfurter Autorengruppe und lernten voneinander. Das Schreiben hatten wir inzwischen also drauf. Yanthalbor blieb in der Schublade.
Später gründeten Christian und ich eine Gameschmiede; bei dieser Gelegenheit lernte ich Harald Evers kennen, der an einer Fantasyreihe schrieb, die sich Höhlenwelt nannte. Er las sich meinen Yanthalbor durch (wie auch mein ebenso unvollendetes Manuskript „Fleurissen“) und meinte, ich sei ein Idiot, ein solches Potential einfach rumliegen zu lassen. Aber ich hatte einfach jede Lust verloren, und hatte auch keine Idee, wie ich die Geschichte so beenden konnte, dass auch Christian damit zurechtkommen würde. Wir behinderten uns also gegenseitig.
Woher wir Harald Evers kannten? Er arbeitete damals für „Software 2000“ und hatte dort gerade sein Adventure „Die Höhlenwelt“ veröffentlicht, nun wollte er unsere Game Engine „Acknex“ nutzen, um eine 3D Variante daraus zu stricken. Mit Software 2000 schlossen wir einen Vertrag für ein 3D Fantasy Adventure namens…. Queste. Ja, Christian hatte es geschafft, den Stoff seiner zweiten Hälfte zur Basis eines Games zu machen. Und ich arbeitete fröhlich daran mit. Welche Ironie – denn das war der Todesstoß für Yanthalbor, der ja nun überhaupt keine Existenzberechtigung mehr hatte. Allerdings wurde Queste nicht fertig, es war zu aufwendig, zu komplex, und vor allem technisch ab dem Moment obsolet, als eine neue Game-Engine auf dem Markt erschien, die alle vorherigen Engines alt aussehen liess: Quake bzw. die polygonale 3D-Engine.
Einige Zeit später gaben Christian und ich die Gamefirma auf und unsere Lebenswege trennten sich. Weder Queste noch Yanthalbor hatten das Licht der Welt erblickt, und es sollte noch lange so bleiben.
Zeit ging ins Land. Mein darauffolgender Werdegang soll hier nicht Thema sein, aber lange Jahre gehörte meine Aufmerksamkeit einem anderen, ebenso ambitionierten Projekt namens „Hawks Effect“. Irgendwann landete ich in einem kleinen Städtchen an der Brenz, etwas nördlich der Stadt Ulm. Und dort fiel mir auf der Suche in meinen Dateiarchiven plötzlich wieder Yanthalbor auf. Ich begann im Manuskript zu lesen. Und dann wurde mir bewusst, dass ich ja frei war. Queste war endgültig begraben und es sah nicht danach aus, dass Christian jemals wieder daran arbeiten würde. Ich fragte ihn aber sicherheitshalber und erfuhr, dass er tatsächlich andere Prioritäten hatte. Ich beschloss meinem Yanthalbor ein echtes Finale zu geben und fing an, zu arbeiten.
Es wurde dann doch mehr als nur ein Finale, ich musste nicht nur von Grund auf Passagen umschreiben, sondern auch noch einmal genauso viel Neues hinzu fabulieren. Aus einem Unterfangen, welches ich in meinem Leichtsinn auf 3 Monate veranschlagt hatte, wurde ein ganzes Jahr. Aber schließlich, nach 25 Jahren, war Yanthalbor am Ende seiner Reise angelangt. Und findet nun im Trivocum Verlag eine Heimat.
Reinhard Rael Wissdorf im August 2016
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